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Beitrag vom 06.06.2013
Internationaler Hurentag - (K)Ein Grund zum Feiern. Save the date: 17. Dezember - Internationaler Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen
Veronika Siegl
Seit fast vierzig Jahren gehen Sexarbeiter_innen weltweit am 2. Juni auf die Straße, um für ihre Rechte einzutreten. Die starke gesellschaftliche Polarisierung beim Thema Prostitution ..
... macht es schwierig, diese Rechte in die Realität umzusetzen. Wie die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, geht die Stimme der involvierten Frauen in den vehement geführten Debatten um Autonomie und Zwang oft unter.
Rosen und Lilien
Die Anfänge des Internationalen Hurentages gehen zurück ins Jahr 1975, als über hundert Sexarbeiterinnen die Saint-Nizier Kirche in Lyon in Beschlag nahmen. Durch die Besetzung machten die Frauen auf staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung sowie polizeiliche Repressionen aufmerksam, die sie zunehmend in den Untergrund drängten und in vielerlei Hinsicht prekarisierten. Die Kirche wurde nach acht Tagen polizeilich geräumt, aber der Streik hatte sich bereits in andere Städte des Landes ausgeweitet.
Heute hat sich dieses Datum weit über die Grenzen Frankreichs hinweg als Aktions- und Protesttag etabliert. In Deutschland wird der Aktionstag seit 1989 begangen.
Dieses Jahr muss der 2. Juni wohl im Zeichen der Blume gestanden sein – "Wir verteilen Lilien und erinnern mit dem floralen Symbol der Prostitution an den Mut der damaligen Streikenden und rufen auf, die Rechte von Sexarbeiter_innen zu stärken", so die Beratungsstelle Hydra in Berlin. Mit der Lilie beziehen sie sich auf einen Brauch des 17. und 18. Jahrhunderts, als Sexarbeiterinnen oft das Tattoo einer kleinen Lilie auf dem Arm trugen. Phoenix hingegen, eine Beratungsstelle mit Sitz in Hannover, griff am Aktionstag auf die Rose zurück – als Zeichen der Aphrodite, des Lasters und der Prostitution.
Auch wenn Deutschland eine im europäischen Vergleich recht liberale Gesetzgebung hat, meint Hydra in ihrer Stellungnahme zum Hurentag 2013, dass es "zum Feiern nur wenig Anlass" gäbe und konstatiert eine "andauernde Ausgrenzung und eine drohende Rückkehr zu Kriminalisierung und Doppelmoral".
Das Prostitutionsgesetz 2002 – ein Schritt nach vorne, zwei nach hinten
De facto ist "Prostitution" in Deutschland seit 1927 legal, der erste Schritt in Richtung rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung von Sexarbeiter_innen kam aber erst durch das von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Prostitutionsgesetz. Seit 2002 gilt diese Tätigkeit nicht mehr als "sittenwidrig", sondern als eine legale Erwerbstätigkeit. So können Sexarbeiter_innen unter anderem Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherungen abschließen und ihren Lohn gerichtlich einklagen.
Das Fazit mehr als zehn Jahre nach dem Gesetzesbeschluss? Begeisterung will keine aufkommen. Eine 2007 von der Bundesregierung beauftragte Studie kam zu dem Schluss, dass in Bezug auf die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter_innen "kaum messbare positive Wirkungen in der Praxis" festgestellt werden könnten. Aber: "Wie kann ein Gesetz gescheitert sein, das gar nicht wirklich umgesetzt wurde?", kritisiert Hydra in einer Presseerklärung zum 10-jährigen Jubiläum des Prostitutionsgesetzes. Auch die Politikwissenschaftlerin Rebecca Pates kommt in einem Artikel aus dem Jahr 2012 zu der Konklusion, dass sich die Bundesländer bei der Implementierung der Maßnahmen quer stellen und die Diskussion in alten paternalistischen Denkmustern verhaftet bleibt.
Bundestagswahl 2013
Nun bleibt abzuwarten, ob von Seiten der Politiker_innen das Versprechen eingehalten wird, die in der Studie von 2007 aufgezeigten Probleme anzugehen. Spannend bleibt auch, welche Formen die Gesetze und Novellen annehmen werden, die derzeit – wohl in Hinblick auf die Bundestagswahl im September 2013 – von vielen Parteien diskutiert werden. So sieht das Wahlprogramm der Grünen zunehmende Restriktionen und Kontrollen des Gewerbes vor und auch CDU/CSU und FDP wollen in den nächsten Tagen einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Bestimmungen zum Beispiel durch eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten verschärft. Eine solche Konzessionierung will die SPD auch in einem neuen Prostitutionsgesetz für die Stadt Bremen verankern.
Diese Entwicklungen wurden Ende April 2013 beim "Koordinierungstreffen Pro Prostitution" in Frankfurt am Main aufgegriffen, bei dem über 80 Sexarbeiter_innen und Aktivisten_innen zusammenkamen. In ihrer Rede konstatierte Juanita Henning vom Verein "Doña Carmen" eine "repressive Wende der Prostitutionspolitik in diesem Land" und bezeichnet den Gesetzesentwurf als Versuch einer "lückenlosen Rundum-Überwachung [...], die jedem Polizeistaat zur Ehre gereichen würde".
Anfang Juni appellierte Doña Carmen an die Mitglieder des Bundestages, den Gesetzesentwurf von CDU/CSU und FDP nicht anzunehmen.
Gesetz und Realität
Ende März 2013 wurde jedoch auch ein hoffnungsgebendes Gerichtsurteil gefällt – Die Sexarbeiterin Dany K. hatte gegen die Errichtung eines Sperrbezirkes in Dortmund geklagt, der das gesamte Stadtgebiet umfasste. Das Gesetz nehme ihr die Existenzgrundlage und dränge sie in unsichere Arbeitsverhältnisse und entlegene Gebiete. Tatsächlich hatte der Straßenstrich in Dortmund mit seinen "Verrichtungsboxen" inklusive Alarmknopf und der Beratungsstelle vor Ort als Positivbeispiel gegolten. Es sind Bestimmungen wie die der Sperrbezirke, die die Ziele des bundesweiten Prostitutionsgesetz oft unterlaufen. Das Gericht gab der Klägerin allerdings Recht und die Stadt muss nun einen neuen Straßenstrich zulassen.
Das Argument des Jugendschutzes sei nur ein Vorwand für das Sperrgebiet, so der Anwalt von Dany K. gegenüber der TAZ. Stattdessen gehe es darum, Maßnahmen gegen Armutsmigration aus Bulgarien und Rumänien zu setzen. Ein heißes Thema seit der EU-Osterweiterung im Jahr 2007, das allzu gern in einem Atemzug mit den Schlagworten Frauenhandel und Zwangsprostitution diskutiert wird und immer wieder deutlich macht, dass Sexarbeit als Erwerbstätigkeit noch weit entfernt von gesellschaftlicher Anerkennung ist. Das zeigte sich auch in einer Ausgabe des Spiegel (22/2013), in der Deutschland als "größter Prostitutionsmarkt der EU" bezeichnet wird. Ein Markt, der primär von naiven, sexuell ausgebeuteten Frauen aus Osteuropa und organisierter Kriminalität geprägt sein soll.
Autonomie oder Zwang?
Zweifellos soll es im Kampf um die Rechte von Sexarbeiter_innen nicht um eine Romantisierung der oft schwierigen Arbeitsverhältnisse gehen. Vielmehr geht es darum, Sexarbeit als gesellschaftliche Realität anzuerkennen und die Lösung für bestehende Probleme nicht in der Symptombekämpfung zu suchen.
So überreichte die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes am 21. Mai 2013 eine Petition mit knapp 46.000 Unterschriften für das Aufenthaltsrecht für Opfer von Zwangsprostitution an das Bundesministerium. Dieses Modell habe sich bereits in Italien bewährt und dazu geführt, dass Frauen häufiger gegen Täter_innen aussagen, so die Organisation in einer Pressemitteilung.
"Sexarbeiter in aller Welt wissen um die traurigen Tatsachen sexueller Ausbeutung und Sklaverei und relativieren nichts. Wir verweigern lediglich, dass man uns unsere Selbstbestimmung abspricht und wir fordern, dass wir in politische Diskussionen und Entscheidungen eingebunden werden, die unsere Arbeit berührt", schreibt Ariane, selbst in diesem Beruf tätig, in einem Kommentar zum Hurentag. "Selbstbestimmung statt Fürsorgementalität!" fordert auch Hydra – "Wir wollen weder kriminalisiert noch zwangsgerettet werden!"
17. Dezember – Internationaler Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter_innen
Diese Forderung nach Selbstbestimmung nimmt spätestens Ende des Jahres wieder Formen der Vernetzung an. So fand das bereits erwähnte Koordinierungstreffen in Vorbereitung auf die "2. Frankfurter Prostitutionstage" im November 2013 statt und bildete auch ein Diskussionsforum für die Initiative zur Gründung eines Sexarbeiter-Verbandes.
Mitte Dezember gibt es einen weiteren Aktionstag, der ursprünglich in Erinnerung an die Opfer des "Green River Killers" Gary Ridgway ins Leben gerufen wurde, der in den 1980er/90er Jahren in den USA über 90 Frauen, überwiegend Sexarbeiter_innen, umbrachte. Das Gedenken geht auf die Initiative von Annie Sprinkle zurück, die als Prostituierte, Pornodarstellerin, Sexualwissenschaftlerin, Künstlerin und vielem mehr eine wichtige Stimme des "global sexworkers movement" darstellt.
Weitere Informationen unter:
Hydra – Treffpunkt und Beratung für Prostituierte (Berlin)
Phoenix – Beratungsstelle für Prostituierte (Hannover)
Doña Carmen – Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten (Frankfurt)
Madonna e.V. – Treffpunkt und Beratung für Sexarbeiterinnen (Bochum)
Diwa – Ausstieg aus der Prostitution
bufas e.V. - Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter
Tampep – European Network for HIV/STI Prevention and Health Promotion among Migrant Sex Workers
International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe (ICRSE)
Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (2007)
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Internationaler Hurentag am 2. Juni 2010 - Only Rights Can Stop The Wrongs
Silvia Kontos - Öffnung der Sperrbezirke - Zum Wandel von Theorien und Politik der Prostitution
Vermehrte Prostitution während Fußball-WM 2006
Das erste Mal und immer wieder von Lisa Moos
"Five Sex Rooms und eine Küche", ein Film von Eva C. Heldmann
"Wa(h)re Lust - Zuhälter, Prostituierte und Freier erzählen", ein Buch von Marcel Feige
"Inside Deep Throat", ein Film über das Pornobusiness
"Trade - Willkommen in Amerika", ein Film über Zwangsprostitution
"The Jammed", ein Film über Zwangsprostitution
"EMMA ruft PorNO!", die Antipornokampagne von Alice Schwarzer
Quelle:
Rebecca Pates (2012): Liberal Laws Juxtaposed with Rigid Control: an Analysis of the Logics of Governing Sex Work in Germany In: Sexuality Research and Social Policy, September 2012, Volume 9(3), pp. 212-222
"Zeit für den grünen Wandel" Wahlprogramm Bündnis 90/DIE GRÜNEN, 2013
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten (04.06.2013)